T + 1 Monat oder: wo bin ich hier eigentlich?

Sitze hier am Ende des ersten Monats und versuche eine Art Bilanz zu ziehen. Dabei bin ich etwas langsam, denn das hier war mein Frühstück:

Genau, das sind gigantische Spaghettoni Carbonara, mein erstes Nudelgericht seit über einem Monat (gekocht von einem italienischen Freund, der gerade hier ist). Ohne eine Coca-Cola dabei zu spliffen.

Auf der guten Seite sind viele Dinge: auf der Arbeit macht es viel Spaß, mit den Kollegen komme ich sehr gut zurecht, das Projekt ist spannend und hat sehr gute Chancen auf Erfolg. In Doha zu leben hat auch etwas von einem permanenten Abenteuer, ein ständiger Trekkingurlaub, denn pausenlos ist man neuen Dingen ausgesetzt. Es ist unglaublich spannend mitzuerleben, wie eine Gesellschaft mit schwindelerregendem Geldüberschuß versucht, sich jenseits vom Powershoppen einen Sinn, eine dauerhafte Anerkennung zu erarbeiten. Diese Menschen hier machen ein ewig großes Spagat zwischen den Werten ihrer Herkunft und ihrer Religion einerseits, und all den Verlockungen, Bequemlichkeiten und geistiger Öffnung andererseits. Ich denke, daß die Qatari gut verstanden haben, daß für die meisten Nicht-Muslime auf dieser Welte Islam mit Rückständigkeit gleichzusetzen ist. Daß ein moderner Intelektueller nicht gleichzeitig den Koran als unumstößliche Gesellschaftsgrundlage fordern kann. Und dabei zu sein, wie sie permanent versuchen, dies zu widerlegen, ohne ihre Basis zu „verraten“: das ist spannend. Wie rechtfertigt die Tochter des Emirs gegenüber ihrem Stamm, daß sie für 245 Millionen Dollar ein Gemälde von Cezanne kauft, wo das doch kaum mit katarischer Identität zu tun hat ? Die Kosten für die größte Damien-Hirst-Ausstellung aller Zeiten, die im Herbst hierherkommt ? Eine kolumbianische Supermarktkassenbekanntschaft brachte es auf den Punkt „Why work in a recession if you can have the boom ?“

Auf der anderen Seite haben sich all meine romantischen Landschaftsvorstellungen von der pittoresken Wüste ins Nichts aufgelöst. Vielleicht find ich ja noch einen schönen Strand, aber bisher ist das alles nur deprimierend. Ich bau mich auf damit, daß ich den ganzen Westen und den äußersten Südosten noch nicht kenne, dazu brauche ich ein Allradfahrzeug. Die größte Lebensumstellung wird sicher sein, daß im Unterschied zu Europa, wo man aus einem breiten Angebot auswählt, man hier einfach alles mitnehmen wird, was kommt. Und dabei Dinge entdeckt, die man sich sonst nie angetan hätte (z.B. ein Motorradrennen..). Und ganz sicher ist das Söldnergefühl erst noch zu integrieren. In all den Jahren in Italien oder Frankreich fühlte man sich letztendlich immer am Rande der Gesellschaft, das Diasporagefühl. Hier in Katar ist das völlig anders: wenn man von 1,7 Millionen Einwohnern zu den 1,5 Millionen Gastarbeitern gehört, wenn ich nach einem Monat außer den Grenzern und einem Polizisten noch mit keinem Katari gesprochen habe: dann stellt sich das Gefühl ein, daß man einerseits der Söldner und die Arbeitsdrohne ist, daß aber auch „wir“ Gastarbeiter zumindest eine Parallelgesellschaft sind. Oder eine Untergesellschaft. Man hat dann die Phantasie, was wäre, wenn wir alle gehen würden. Wenn auf einmal alle Kataris, und nicht nur ein paar, ernsthaft was tun müßten, arbeiten. Wenn der Wind durch die leeren Compunds und einkaufszentren pfeifen würde. Gleichzeitig versuche ich mir auch vorzustellen, wie eigentlich bescheuert es für die Kataris sein muß, daß sie, sobald sie vor die Haustür treten, eigentlich nur Englisch sprechen müßen, damit die Leute verstehen, was sie wollen. Im eigenen Land nur in einer Fremdsprache kommunizieren.

Ansonsten gab es ein paar kleinere bemerkenswerte Vorkommnisse:

– Meine erste Schischa / Wasserpfeife. Wie der Saarländer sagt: ist interessant, aber muß ich nicht noch einmal haben

– Hab ziemlich viel Gewicht verloren, denn durch die fast vollständige Abstinenz, die Wiederaufnahme von Sport und durch moderates Essen hab ich sicher 6, 7 Kilo runter (Wiegen tu ich mich nicht, Körpergewicht ist eine ästhetische, keine numerische Herausforderung)

– Man bildet ernstgemeinte Sätze und landet bei Loriot, denn wenn ich sage „Ein Deutscher, ein Jordanier und ein Südafrikaner gehen in Katar in ein thailändisches Restaurant. Da sagt der griechische Kellner…“ dann stimmt das doch so

– meine Familie ist NICHT schreiend vor Entsetzen nach der Schnupperwoche abgereist

– wir haben verstanden, daß das Finden eines Schulplatzes eine verdammt knifflige Angelegenheit ist, denn die guten Schulen haben alle Wartelisten

Schaun mer mal, was der nächste Monat bringt: werde ich endlich meinen geliebten Paß wieder in die Arme schließen können ? Wird er die Zeit mit dem schwitzenden Kleinwagenfahrer gut überstanden haben ? Werde ich meine Aufenthaltserlaubnis und eine Liqour Licence (Alkoholerlaubnis) erhalten ? Werden auch die nächsten Besucher erfolgreich Schweinefleisch einschmuggeln ? Was für ein Auto werde ich mir zulegen ? Wird der pakistanische Kollege ein Züricher Geschnetzeltes hinbekommen ? Und werde ich nach vollschlank den Sprung zu untersetzt hinkriegen ? Es bleibt spannend.

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