Mach Dich zum Acker, oder: das Schweigen der Programmhefte

Zwei Geschichten aus dem richtigen Leben: ein syrischer Kollege sah neulich sehr geknickt und nachdenklich aus. Hab dann schnell verstanden warum: er hatte gerade seine Frau mit ihrem 3 Jahre alten Kind auf den Flieger zur Urlaubsreise gebracht. Dadurch dass sein Pass nur noch ein paar Monate gueltig ist und es keinerlei syrische konsulare Dienste in der Golfregion mehr gibt, konnte er selber nicht mitfliegen, da ihn andere Laender nicht reinlassen und Katar auch keinerlei Garantie geben wuerde, dass er nochmal ins Land reingelassen wird. Viel nachdenklicher machte ihn aber das Urlaubsziel: dadurch dass die beiden ihre jeweiligen Familien seit Jahren nicht mehr gesehen hatten, diese damit auch die dreijaehrige Tochter nicht kennen, hatten sie beschlossen, dass die beiden in den Sueden der Tuerkei fliegen und dort ihre Familien treffen, die dazu versuchen werden, sich aus Syrien herauszuschmuggeln. Sie wollte selber einreisen, das hat er ihr aber verboten (mal sehen, ob sie sich dran haelt). Der Gute wird also so lange unter Hochspannung sein, bis sie wieder zurueck ist. Die einzig verlaessliche Kommunikationsform zwischen beiden scheint facebook zu sein…

Einem anderen Kollegen ist folgendes passiert: er und seine Frau haben wie so viele ein Maid zuhause, die nicht nur alle Hausarbeiten macht, sondern auch auf das kleine Kind aufpasst. Diese Maid geht nie aus und hat auch keine Freunde hier. Dachte er. Neulich nahm ihn ein Waerter seines Hauses beiseite und erzaehlte ihm (belegt durch einen Handyfilm), dass die Maid sich zweimal maennlichen Hausbesuch ins Haus geholt hatte. Ist in Katar illegal, falls es zu Sex kommt. Er stellt sie also am Wochenende zur Rede und findet auch noch auf ihrem smartphone Bilder, wie sie quasinackt in Unterwaesche seiner Ehefrau posiert. OK Drama, der Rheinlaender wuerde wohl sagen: „normaaal“. Aber jetzt kommt die katarische pragmatische Loesung. Sie packt ihre Siebensachen, er faehrt mit ihr zum Flughafen und geht zum 24 Stunden Notfallschalter des Innenministeriums, laesst -aufgrund der Beweise problemlos machbar- ihr Arbeitsvisum stornieren und setzt sie auf den naechsten Flug in ihr Heimatland. Zwischen entdeckt Werden und Ausreisen lagen fuer die Dame 6 Stunden. Doch die Geschichte hat auch ein gutes Ende: er fuhr dann am Wochenbeginn zu der Maidagentur und konnte sogleich eine neue „mitnehmen“. Aber nur deswegen, weil diese am Vortag von ihren katarischen Hausherren nach nur einem Tag zurueckgegeben worden war, sie waere nicht in der Lage gewesen qualifiziert genug zu buegeln.

Etwas ganz anderes: wenn man aus Mitteleuropa kommt, denkt man nicht gross drueber nach, woher die Lebensmittel kommen oder ob es gar immer ausreichend gibt. Jenseits der kriegsbedingten Knappheiten in der Vergangenheit ist dieses Thema ueberhaupt nicht relevant oder gar wichtig.

Bei vielen Laenderns ist das genau umgekehrt: wie schon ab und zu beschrieben importiert Qatar ueber 90 % seines Lebensmittelbedarfs und deckt 99 % seines Wasserbedarfs ueber Entsalzungsfabriken. Doch um das zu aendern, gibt es ein visionaeres Programm zur erzielung kompletter Autarkie. wer 5 Minuten Zeit hat sollte sich diese Darstelung vom Praesidenten aus dem Fruehjahr 2012 ansehen:

http://www.ted.com/talks/fahad_al_attiya_a_country_with_no_water.html

Ob das jemals in welchem Ausmass etwas wird, man weiss es nicht. Nur ein Randaspekt dieses Vortrags ist letzte Woche ins Bewusstsein vieler getreten: der massenhafte Kauf von Agrarflaechen und -betrieben im jeweiligen Ausland durch Laender, der groesste Angst ist, aus was fuer Gruenden auch immer irgendwann mal keinen Zugriff auf dringend benoetigte Lebensmittel zu haben. Die Golflaender investieren da einiges, zB Katar knapp 650.000 Hektar und Saudi-Arabien ueber 2 Millionen:

Agriculture-aborad

Doch China stellt alle in den Schatten, sie haben sich gerade Zugriff auf ueber 3 Millionen Hektar in der Ukraine gesichert, dies entspricht einem Viertel der gesamten Ackerflaeche Deutschlands. Aus einem Artikel der SZ:

„Seit Jahren schon kaufen chinesische Staatskonzerne Land auf der ganzen Welt. Die chinesischen Böden reichen bei weitem nicht mehr aus, die Versorgung des Milliardenvolks zu sichern. Lediglich neun Prozent der chinesischen Fläche sind für den Ackerbau geeignet – zu viele Berge, zu viele Wüsten. Zudem sind durch das rasante Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahren viele Böden in China verseucht, in weiten Teilen des Landes ist das Grundwasser mit Schwermetallen belastet. Die Zentralregierung verfolgt schon seit Jahren die Politik, Lebensmittel im Ausland herstellen zu lassen. Auf Importe oder gar die Preisschwankungen am Weltmarkt angewiesen zu sein, das ist der Führung in Peking jedoch zu risikoreich. Also wird zugekauft. Vor allem in Afrika. Aber auch in Südamerika. In Argentinien etwa bewirtschaftet der Agrarkonzern Beidahuang 234.000 Hektar Land, um dort Sojabohnen anzupflanzen.“

Zu diesem Thema wird noch nicht der letzte Artikel geschrieben sein….

Am Wochenende war die Spielzeiteroeffnung des hiesigen Symphonieorchesters, und zu meiner Ueberraschung hat man sich entschieden, ganz konsequent davon auszugehen, dass jeder Zuschauer mit seinem smartphone oder ipad ins Konzert geht. Denn Programmhefete gibt es nicht mehr ausgedruckt, sondern nur noch ueber einen codescanner runtergeladen. Das spart sicherlich sehr viel Papier (vorher bekam jeder Zuhoerer kostenlos ein zweisprachig gedrucktes Heft in die Hand gedrueckt), ersetzt die Knister- durch Wischgeraeusche waehrend des Konzerts und wird zu realistischen Leserzahlen fuehren….

QPO

Hier der Link noch zum kompletten SZ Artikel

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ringen-um-nahrungsmittel-china-pachtet-gigantische-ackerflaeche-in-der-ukraine-1.1777437

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